Unterdrückte Kunst nach 1945 von Uwe Grossau

Einführende Worte von Uwe Grossu in der Galerie am Theater, Nürnberg. 15. November 2001

(Abschrift nach Aufnahme auf Tonband)

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich denke, dass ich etwas dazu sagen muss, zu diesem Titel, der doch einiges Aufsehen erregt hat. Vermutlich auch, weil viele es schon gewusst haben: Es ist jetzt im März 2001 auch in deutscher Sprache ein Buch erschienen, von einer britischen Dame namens Frances Saunders, in dem sie sehr detailliert bespricht, wie der CIA die Kunst oder, besser gesagt, bestimmte Richtungen der Kunst gefördert hat. Man weiß, dass der CIA tatsächlich einen Auftrag gehabt hatte in diese Richtung, denn der CIA war für den Kalten Krieg zuständig, der dann 1989 zu Ende ging.

Woher nimmt Frau Saunders ihre Erkenntnisse? Zum einen von einigen ehemaligen CIA-Agenten, die inzwischen in Rente sind, die jetzt sagen dürfen, was sie wollen: „ja, so war es damals“. Hinzu kommt, dass manche Sachen einfach nicht mehr geheim sind, weil es mit dem Kalten Krieg ja vorbei ist. Die Autorin geht sehr im Detail auf fast jede Quittung, auf fast jedes Flugticket, auf fast jede Hotelrechnung ein -die Leute, die mitgemacht haben, wurden nach Rom, Paris und London geschickt, es wurde stets ein Hotel erster Klasse bezahlt - ihre Gespräche zählt sie auf, wo sie statt gefunden haben, mit wem und warum? Usw. Darauf möchte ich jetzt hier nicht weiter eingehen, sondern will mich auf unser Thema beschränken: die Beeinflussung der Kunst durch den CIA.

Ich bin noch im Vorfeld dieser Ausstellung auf den Titel der Ausstellung angesprochen worden: „Hat es das wirklich gegeben, eine Unterdrückung der Kunst nach 1945?“ Einige, besonders unter den jungen Leuten, wollten es zunächst nicht glauben: „Wieso, war das denn nötig?“ Damit sind wir jetzt eigentlich beim Thema. Dafür muss ich ein ganz wenig in die Politik ausweichen. Wie sie wissen, war 1945 ein Krieg zu Ende gegangen und es hatte ein neuer begonnen, nämlich der Kalte Krieg. Da standen sich nun die ehemaligen zwei befreundeten Weltmächte gegenüber. Es war tatsächlich so, daß von sowjetischen Seite eine sehr aggressive Politik gegen den Westen gemacht worden ist. Man war bei den Sowjets fest davon überzeugt, dass, wie Marx es prophezeit hatte, der Endsieg der Arbeiterklasse unausbleiblich ist. Es gibt dazu eine sehr interessante Stelle in einem Briefwechsel mit Marx: Ein Revoluzzer hatte in einem Brief an Marx gefragt: „Wenn es denn so ist, dass der Endsieg uns sicher ist, warum müssen wir dann überhaupt noch Revoluzzer sein und kämpfen?“ Die Antwort war der berühmte Satz: „Damit es schneller geht!“  Nun war Stalin fest davon überzeugt, er sei jener, der vom Schicksal auserwählt war, damit es schneller gehe. Der Sieg des Sozialismus über den Kapitalismus wäre sowieso gekommen, aber er wollte selber etwas tun, damit es schneller geht. Davon, dass er Stalingrad überlebt hatte und seine Panzer fast unaufhaltsam nach Westen gerollt waren, hatte Stalin den Eindruck bekommen, dass jetzt die Prophezeiung sich bewahrheiten wird. Natürlich konnte er seine Panzer nicht ewig nach Westen rollen lassen, weil die Amerikaner auch welche hatten, und die waren auch nicht schlecht. Deswegen hatte er sich verlegt auf Unterwanderung von Innen. Wie sie wissen, haben innerhalb von drei Jahren kommunistische Putschversuche Erfolg gehabt in allen Ländern, die später den Ostblock bilden sollten, und zwar überall dort, wo sowjetische Truppen stationiert waren. Nur ein Putsch war gescheitert, 1950 in Österreich. Es ist unter Historikern noch immer nicht entschieden, ob ein solcher Putschversuch auch in Italien vorbereitet wurde. Sicher ist, dass der CIA dort einiges unternommen hatte, um einen solchen Putsch abzuwenden und man vermutet auch von Moskau unterstützte Pläne zu einem Putschversuch in Frankreich.

Gerade in Frankreich schien dem Westen die Gefahr sehr groß. Nehmen wir als Beispiel Joliot-Curie, den bekannten Physiker, der 1945 von De Gaulle zum Leiter der französischen Atombehörde berufen wurde, um die französische Atombombe zu entwickeln. Bald stellte sich heraus: Joliot-Curie war heimlich Mitglied der kommunistischen Partei. Man stelle sich den Schock damals vor: der Leiter der französischen Atom-Energie-Behörde ist in der KP!  Andere prominente Anhänger der Sowjetunion und Stalins waren Sartre, Camus, Merleau-Ponty, Anouilh, Genet und Picasso. Letzterer hatte im Auftrag der L'Humanité, dem Zentralorgan der KPF, sogar ein Porträt Stalins zu dessen 70. Geburtstag angefertigt (1949).

Dieser Gefahr sollte jetzt von westlichen Seite in jeder Beziehung begegnet werden, in politischer sowieso, aber auch – und damit wären wir beim eigentlichen Thema – im künstlerischen Bereich und hier zwar aus folgendem Grund: Die Sowjets hatten sehr erfolgreich behauptet, die Amerikaner hätten keine Kultur, Amerika sei eine „kulturelle Wüste“. Dieses Wort der „kulturellen Wüste“ kam in der sowjetischen Propaganda immer wieder vor und ist in Großbritannien und Frankreich sehr beklatscht worden. Man bediente sich des Arguments, die Amerikaner hätten keine bedeutenden Künstler und wenn sie doch welche hätten, dann seien sie Emigranten aus Europa.

Nun sollte das Gegenteil bewiesen werden. Diesen Auftrag hatte zuerst das amerikanische Außenministerium gehabt. Ab jetzt möchte ich mich an die Chronologie halten, es ist nicht sehr viel, vielleicht 5-6 wichtige Sachen, die passiert sind.

Zunächst meinte man, es sollten Tourneen durch Europa mit amerikanischen Künstlern gemacht werden. Die erste war 1947 die Ausstellung „Advancing American Art“. Dafür sind 79 Werke von zeitgenössischen amerikanischen Künstlern aufgekauft worden, rein abstrakte oder fast abstrakte, oder jedenfalls in diese Richtung.

Warum gerade abstrakte Kunst? Nun, es gab beim Außenministerium keine Experten. Es gab aber den Auftrag, eine Ausstellung im Ausland zu machen, die amerikanische Kunst zeigen sollte, um die Sowjets zu widerlegen. Also fragte man Experten: „Was machen denn die Sowjets überhaupt in der Kunst? – Sozialistischen Realismus – Was ist das? – Das sind Arbeiter, die immer lustig sind, die sich freuen, dass sie in der Fabrik arbeiten dürfen, es sind Bauern, die sich freuen, dass sie auf dem Feld arbeiten dürfen, der Soldat, der seinem Vaterland dient, die Mutter mit dem Kind, die freuen sich auch, also alle freuen sich irgendwie, alle sind gut gebaut, sehr gesund, haben rote Backen usw. – Moment, das kennen wir doch von den Nazis? – Ja, das kennt ihr von dort auch. – Dann ist es das Gleiche? – Ja, es ist ziemlich das Gleiche. So groß sind die Unterschiede nicht, hier ein wenig mehr Rot, dort ein wenig mehr Braun, aber von der Idee her ist beides ziemlich gleich. – Auch gut, wir müssen schließlich gegen beides sein.“ So ungefähr dürfte sich das Gespräch mit den Experten gestaltet haben, von mir etwas überspitzt formuliert, doch das habe ich nur getan, um den Kern der Sache besser zu treffen.

Nun wollte man von den Experten mehr wissen: „Was ist das Gegenteil? – Das Gegenteil ist die abstrakte, die ungegenständliche Malerei. – Gibt es das überhaupt? – Ja, in Europa. Dort haben einige Künstler am Anfang des 20. Jahrhundert begonnen, den sogenannten „Weg in die Abstraktion“ zu beschreiten: Matisse und die Fauvisten, Kirchner und die Expressionisten, Picasso, Braque und die Kubisten, Kandinski und Malewitsch schließlich ganz ohne Gegenstand. Mit diesen können wir nichts anfangen, wir brauchen Amerikaner!“

Jetzt kommt ein sehr wichtiger Punkt. Man erinnerte sich, dass 1939 ein Kritiker, ein gewisser Clement Greenberg, einen recht bekannt gewordenen Artikel geschrieben hatte, der hieß „Avantgarde und Kitsch“. Das eigentlich berühmte an diesem Artikel war die Tatsache, dass mit ihm das deutsche Wort Kitsch in den angelsächsischen Sprachbereich eingeführt wurde. In diesem Artikel waren aber auch folgenden zwei Behauptungen aufgestellt:

Erstens: die Malerei neige von sich aus dazu, flach zu werden, und zwar aus einem ganz einfachen Grund: weil sie auf einer Fläche gemalt ist, muss sie allmählich immer flacher werden. Ein sehr, sehr oft nachgeplapperter Satz, (jetzt auch von mir), der übrigens falsch ist. Denn man muss sich fragen, warum die Malerei überhaupt erst damit begonnen hat, die Illusion des dreidimensionalen Raumes auf der zweidimensionalen Fläche herzustellen, damals mit den van Eycks, den Leonardo da Vincis und den vielen anderen, wenn das eigentlich von vorne herein falsch war? Nur, damit die Malerei ausgerechnet in unseren Tagen die Gelegenheit bekommen kann, endlich richtig zu werden, also flach und abstrakt? Na ja, bisher ist in der Malerei offenbar alles falsch gemacht worden. Richtige Malerei ist ja flach und abstrakt. (Im Übrigen erkennt man in dieser Theorie die Motive des Sündenfalls, des Kampfes gegen das Böse und der paradiesischen Erlösung.)

Der zweite wichtige Behauptung ging von der Feststellung aus, die Künstler, die damals abstrakt oder auch expressionistisch malten, könnten davon nicht leben. Deswegen hatte Greenberg gefordert, man bräuchte Mäzene dafür. Der Vergleich war, wie so oft, jener mit der Renaissance: da gab es Fürsten und Päpste, die die Künstler gefördert haben. Das müsste also bei uns, in der Neuen Welt, auch so sein. Die Reichen müssten einfach Geld ausgeben um diese Künstler zu ernähren.

Daran hatte man sich also erinnert und Greenberg angesprochen, mit dem man versuchte, einige von ihm bis dahin als Kritiker geförderten amerikanischen Malern jetzt zu „bedeutenden amerikanischen Malern“ zu machen. Was man damals noch nicht wusste: wohin diese Maler politisch gehörten. Was man wusste: der besagte Artikel war in einer Zeitschrift namens Partisan Review erschienen. Ich hätte bis vor kurzem nicht geglaubt, dass es in Amerika eine Zeitschrift namens Partisan Review hat geben können, doch es hat sie gegeben. Es war eine rein kommunistische Zeitschrift, sogar eine trotzkistische – das war dem amerikanischen Außenministerium, später dem CIA, sehr angenehm, denn die Trotzkisten waren die grimmigsten Antistalinisten der Welt überhaupt und somit verlässliche Verbündete im Kampf gegen die Sowjets. Bald hatte sich herausgestellt, dass nicht nur Greenberg, sondern alle diese Maler auch Kommunisten waren, eben trotzkistische Kommunisten. Es hat mich überrascht zu erfahren, dass dies damals eine ziemlich starke Bewegung war in den USA – sie ist uns bisher von beiden Seiten verschwiegen worden, wahrscheinlich weil die einen, die Sowjets, nicht zugeben wollten, dass ihre Bewegung, der Kommunismus, irgendwo in der Welt so kläglich hat scheitern können, wie er dann tatsächlich in den USA gescheitert ist, und die anderen, die Amerikaner, wollten nicht zugeben, dass es bei ihnen jemals eine Anfälligkeit für diese Ideologie hat geben können.

Nun zu einigen dieser Maler: Jackson Pollock war, wie die anderen auch, kommunistischer Aktivist gewesen in den 30-er und 40-er Jahren. Etwas was man heute auch zu wenig weiß: Pollock hatte damals sozial-kritisch gemalt- was sich auch so gehörte, denn ein Kommunist hat schließlich sozial-kritisch zu malen – übrigens in einem Stil ähnlich dem der deutschen Expressionisten.

So kam es zum Handel: Der CIA sagte zu diesen Malern: „Ihr habt kein Geld. Wir geben es euch. Dafür malt ihr, was wir haben wollen: rein ungegenständlich, also abstrakt, und vollkommen unpolitisch.“ Das ist der Grund, warum die sogenannte Avantgarde gleich nach dem Krieg, der ja genügend Fragen politischer Art aufgeworfen hatte, auf einmal so unpolitisch wurde. Die Sowjets hatten immer nur gegenständliche und politische Kunst gemacht, also sagte man jetzt in Amerika: „reine Kunst ist ab heute ungegenständlich und unpolitisch.“

Die anderen Maler und Bildhauer mit kommunistischer Vergangenheit, soweit bekannt, sind: Robert Motherwell, Adolph Gottlieb, Barnett Newman, Stuart Davies und Marc Rothko und vielleicht noch einige andere, die zu großen Künstlern gemacht worden sind: das waren alles ehemalige Kommunisten, die sich dem CIA verkauft hatten.

Diese Ausstellung, „Advancing American Art“, ist zuletzt schief gegangen, aus folgendem Grund: die 79 Bilder aufgekauften Bilder gingen nach Europa auf Tournee, sie waren in Paris und Prag, bis ein Abgeordneter im Kongress etwas davon erfahren hatte. Als bekannt wurde, was für Gemälde ausgestellt wurden, ergriff einige Abgeordneten die Wut: „was, das soll amerikanisch sein? Uns darstellen?“. Von Präsident Truman ist überliefert: „wenn das amerikanische Kunst ist, dann bin ich ein Hottentotte“ – es sind tatsächlich so böse Worte gefallen damals im Kongress. Ein anderer Abgeordnete ereiferte sich: „ich bin wohl nur ein dummer Amerikaner, der für diesen Schrott auch noch Steuern zahl“. Die Ausstellung ist abgebrochen worden – das an sich war schon peinlich – und dazu hatte man noch einen Fundus von 79 überflüssigen Gemälden, die man wieder verkaufen musste. Das Ergebnis: zu 5% Prozent des Einkaufspreises. So viel war damals abstrakte Kunst wert.

Das war der Anfang. Jetzt kommt der wichtigste Augenblick. 1947 wurde der CIA gegründet, unter anderem auch, weil das amerikanische Außenministerium eigentlich keine Befugnis hatte für solche Ausstellungen im Ausland, und auch, weil es die Kompetenz dafür nicht besaß. Schließlich war diese erste Ausstellung nicht gut genug gemacht worden, das gut gemeinte Projekt war ja schief gegangen.

Der CIA  wurde im Juli 1947 gegründet, kurz zuvor, im Juni, der Marshall-Plan – beide haben etwas miteinander zu tun, wir werden gleich sehen, was. Im selben Jahr wurde in Belgrad die Kominform gegründet, das war die Gegenseite. Beide haben sich bekämpft, auf kultureller Ebene. Der erste Höhepunkt, die erste Begegnung, war das berühmte Treffen im Waldorf Astoria Hotel in New York - ein sehr feines Hotel. Dort wurde eine Konferenz organisiert mit 1000 Delegierten aus der ganzen Welt. Es war bekannt: finanziert durch Moskau. Unter den 1000 Delegierten waren sehr berühmte Namen, die mit der Sowjetunion sympathisierten. Sie werden sich wundern, wer alles dabei war: der Dirigent Leonard Bernstein, der Physiker Albert Einstein, der Architekt F.L. Wright, der Schriftsteller Arthur Miller, der Komponist Aaron Copland (der dann vom CIA doch wieder gefördert wurde, als „echte“® amerikanischer Komponist – es gab ja so wenige davon), eine Grußadresse kam von Thomas Mann, Albert Schweitzer stand auf dem Papier als Schirmherr – das Seltsame dabei ist: es wurde vom CIA eine Gegenkonferenz organisiert, im selben Hotel zur gleichen Zeit, und da war Albert Schweitzer auch der Schirmherr. Es scheint, er wusste von beiden Sachen nichts.

Diese Aktion im Waldorf Astoria hatte dann etwas auf den Plan gerufen, das Ihnen vermutlich bekannter ist: Es sind dann, noch im selben Monat, in der LIFE war das, 50 Photos von angeblichen Moskau-Sympathisanten veröffentlicht worden, womit die McCarthy-Ära eingeleitet wurde. Da waren wieder Leonard Bernstein dabei, Arthur Miller, Albert Einstein, F.L.Wright, diesmal auch Charlie Chaplin usw. Diesen Leuten wurde unterstellt, sie seien Kommunisten, sie würden für Moskau arbeiten. Interessant: diejenige Leute, von denen man ganz genau wusste, das sie Kommunisten waren, Jackson Pollock und die anderen, waren nicht auf der Liste! Nun wird vermutet, das sei ein Ablenkungsmanöver des CIA gewesen, damit keiner denkt, es würden Künstler gefördert, die eigentlich aus politischen Gründen nicht gefördert werden dürften.

So viel zur McCarthy-Ära und den sogenannten „50 nützlichen Idioten“.

Das sind so die ersten Begegnungen gewesen. Vielleicht noch ein Hinweis: der CIA hat nicht nur diese Gegenkonferenz gemacht: er hatte auch Tarnorganisationen unterhalten, es wird behauptet, bis zu 800 Tarnorganisationen in den besten Tagen: 170 Stiftungen waren darunter, es waren Reisebüros darunter, es waren Fluglinien darunter, wo die eigenen Leute gebucht wurden, um sie nach Europa zu fliegen, usw. Es war also riesig aufgezogen. Die Hauptfiliale, das war mir auch neu, war eine Organisation der besonderen Art gewesen: Es gab einen Congress for Cultural Freedom, da waren praktisch alle Leute drin, die damals Rang und Namen hatten. Über diesen Kongress für kulturelle Freiheit sind dann die Gelder verschoben worden – man sagt, es waren mehrere hundert Millionen Dollar, um diese kulturelle Arbeit zu unterstützen. Jetzt wissen wir, woher diese teuren  Kataloge kommen, die für diese – ich sage mal – „unkonventionellen“ Künstler gemacht wurden, wodurch sie berühmt gemacht worden sind...

Woher kam das Geld übrigens? Was mir bisher auch neu war: die Gelder sind über den Marshall-Plan gelaufen. Und zwar: Marshall-Plan war folgendes: die amerikanische Regierung hatte den Regierungen, die sich am Marshall-Plan beteiligen wollten, gewisse Summen Geld zur Verfügung gestellt, mit der Bitte, jede Regierung möge die gleiche Summe noch einmal in diesen Fonds einzahlen: so gab es einen größeren Haufen Geld, da konnte man mehr damit machen. 95% davon standen der betreffenden Regierung zur Verfügung, sie konnte das Geld ausgeben, musste es nicht zurückzahlen, aber sie musste natürlich begründen, wofür usw. Die anderen 5% waren der amerikanischen Regierung vorbehalten, ohne Antrag!, ohne Begründung, wofür man es brauchte. Der Sinn bestand darin, schneller und flexibler reagieren zu können, ohne viel Bürokratie. Diese 5% sind dann auch vom CIA benutzt worden: um Konferenzen zu bezahlen, Ausstellungen zu bezahlen, Kataloge zu bezahlen, Konzerte zu bezahlen, eigene Zeitschriften zu bezahlen, in denen dann außergewöhnlich wohlwollende Kritiken  erschienen ...: das alles ist aus diesem Fonds bezahlt worden, und - ich komme jetzt zurück zur „unterdrückten Kunst nach 1945“ – es ist nichts getan worden, um auch das Gegenteil, die zeitgenössische gegenständlichen Kunst, darzustellen. Mehr noch, es ist alles gefördert worden, was die gegenständliche Kunst irgendwie lächerlich machen und altmodisch wirken lassen konnte (gegenständliche Kunst war immer das „Zigeunermädchen“ oder der „röhrende Hirsch“). Also nicht nur „nicht fördern“, das wäre vielleicht ja noch gegangen, aber es musste auch noch etwas dagegen getan werden. So kam ich auf den Titel dieser Ausstellung, „Unterdrückte Kunst nach 1945“. Ich habe viel mit Künstlern gesprochen, die damals tätig waren, und zwar als gegenständliche Maler – einige davon stellen gerade jetzt aus: sie sind sehr unzufrieden mit dem, was in den vergangenen paar Jahrzehnten mit ihnen gemacht worden ist: Sie haben schon immer gut gemalt, waren von Anfang an begabt, waren fleißig und gingen ihren Weg. Doch keiner wollte sie haben. Im Gegenteil: sie sind hinaus geflogen, aus Vereinen, aus Ausstellungen, sogar von Messen und durften ihre Kunst nicht zeigen. Hier sind nicht nur wirtschaftliche Karrieren behindert worden, sondern es ist sogar Lebensglück aus politischen Gründen zerstört worden.

Ja, ich glaub das war so das Wesentlichste, die einzelnen Sachen, die danach kamen, jetzt noch aufzählen ist nicht mehr so wichtig. Ich möchte nur kurz auf einige der Methoden aufmerksam machen, welche angewandt worden sind: Die eine Methode heißt „name dropping“: ein Name muss immer wider fallen, fallen, fallen, ungefähr so: Coca-Cola, Coca-Cola, Coca-Cola... irgendwann sagt sich dann jeder: das kenn ich, das muss gut sein.

Zum Beispiel ist 1952 in Paris ein Festival organisiert worden, das hieß „Oeuvre du 20ième siècle“, also „Das Werk/Kunstwerk des 20. Jahrhunderts“ (obwohl dieses Jahrhundert erst zur Hälfte um war). Da sind ganz gezielt Werke bestimmter Leute aufgenommen worden – ich darf vielleicht ein paar Namen vorlesen (das Festival ist übrigens von einem Komponisten organisiert worden, der hat also mehr Wert gelegt auf Musik, aber Maler und Bildhauer waren auch dabei) und zwar: man hat Debussy spielen lassen, Prokofiew, Schostakowitsch, Skrijabin, Strawinski, Berg, Schönberg, Hindemith, Mahler, Bartok, alles große Namen. Klar, die kenn ich, die müssen gut sein! Richtig, bloß immer wenn sie so etwas hören, müssen Sie überlegen, welche Namen sie nicht hören. Und jetzt möchte ich wieder ein paar Namen aufzählen, nämlich die, die nicht dabei waren: Ravel – ist bekannt glaube ich – und sein Bolero. Weniger bekannt ist: der Bolero ist 1928 komponiert worden, d.h. 1952 war er gerade 24 Jahre alt, also zeitgenössischer geht es kaum mehr und er gehört sicher zum 20. Jahrhundert. Rachmaninoff ist auch bekannt: Musikliebhaber kennen vielleicht die Paganini-Variationen, die sind 1934 komponiert worden, also 18 Jahre vorher. Auch hier: zeitgenössischer geht es gar nicht. Carl Orff: Carmina Burana: 1937 komponiert worden, vor 15 Jahren. Joaquin Rodrigo – wer Klassik Radio hört, bekommt es jede Woche einmal zu hören: das Concerto de Aranjuez, 1940. Richard Strauss hatte noch gelebt, 1946 seine Metamorphosen geschrieben, sehr schöne Variationen über ein Thema aus der „Eroica“ von Beethoven, die waren damals gerade 6 Jahre alt und Strauss war ja sicherlich kein unbekannter Komponist. Das waren also alles Leute, die man nicht haben wollte. Wenn Sie jetzt überlegen, wen man aufgeführt hatte: das waren allesamt Schrägtöner, man wollte einfach damit klar machen: Musik des 20. Jahrhunderts ist immer schräge Musik. Ich hab nichts dagegen, ich höre sie auch ab und zu (nicht jede) – aber das war die Tendenz, die dem Publikum haften bleiben sollte: die Musik des 20. Jahrhunderts ist schräge Musik, keine wohlklingende.

Jetzt komme ich zur Malerei, mein eigentliches Gebiet: es waren Matisse dabei (jawohl, den kenn ich, der muss gut sein), Cézanne, Seurat, Derain, Chagall, Kandinski... alles große Namen (die kenn ich alle, die müssen alle gut sein). Zählen wir jetzt einmal auf, wer nicht dabei war: de Chirico war nicht dabei, Magritte war nicht dabei, Dalí war nicht dabei, Hopper – also das war wirklich ein großer, großer amerikanischer Maler – war nicht dabei. Ein anderer Amerikaner, der bei uns nicht so bekannt ist: Wyeth, auch sehr gut (wahrscheinlich deswegen bei uns nicht so bekannt, weil man seinen Namen kaum aussprechen kann – es ist schon schlimm, wie er sich schreibt). Escher – ich hab lange Zeit gar nicht gewusst, das Escher aus dem 20. Jahrhundert ist – er hat 1938 angefangen, tätig zu werden – war damals einer der „zeitgenössischsten“ Künstler, den es überhaupt gegeben hat in den 50er Jahren. Aus Deutschland – auch aus anderen Gründen – durfte niemand aus dem 20. Jahrhundert gezeigt werden: Otto Dix war nicht dabei, man hätte auch Beckmann zeigen können, der war auch nicht dabei...

D.h.: Immer wenn Sie große Namen aufgezählt bekommen, dann bekommen Sie manche nicht aufgezählt (man denkt nicht daran) und das ist die Methode. Wenn Sie überlegen: Magritte, Dalí, Hopper, de Chirico, Escher: in welcher Richtung malten sie? Sie malten gegenständlich, sogar sehr gut gegenständlich, sie machten keine abstrakte Kunst – aber man förderte nur, was abstrakt/ungegenständlich war, d.h. die andere, die nicht abstrakte, die gegenständliche Kunst ist einfach unterdrückt worden.

Ich habe mir in Deutschland fast alle größeren Museen angeschaut: Man findet einen einzigen Dalí öffentlich (im Museum Ludwig in Köln), keinen einzigen Magritte...  Escher nirgends auf der Welt: den gibt es einfach nicht, Museen haben so etwas nicht angekauft...

Ja, damit hoffe ich, dass ich Ihnen hier Einiges habe aufzeigen können, das doch andeutet, was viele sowieso schon geahnt haben: dass es einen nicht-künstlerischen Grund hat, wenn Kunst so einseitig präsentiert wird in unseren heutigen Museen – man kann in alle deutschen Museen gehen, es gibt überall viel Beuys, es gibt überall viel Baselitz usw. – ich sage nicht, dass man das nicht ausstellen soll, aber ich sage, man soll es nicht so einseitig machen, bitte sehr.

Ganz zum Schluss hab ich Ihnen noch etwas besonderes mitgebracht: Eine Methode des CIA fand ich ganz pfiffig: er hat Reiseführer geschrieben. Seine Agenten sind ins Ausland gefahren und haben Reiseführer geschrieben, um diese Politik der einseitigen Förderung und gezielten Unterdrückung noch einmal zu unterstützen. Ich habe leider keinen amerikanischen Reiseführer aus jener Zeit gefunden, doch hab ich einen von 1995 gefunden, ihn durchgeblättert und: auch dieser dient den Interessen der abstrakten Kunst, voll und ganz. Es interessiert jetzt nicht, ob auch die Autoren dieses Reiseführers von 1995 es mit Absicht getan haben – sie wissen ja, es schreibt ja sowieso einer vom anderen ab...

Lassen Sie mich ganz kurz darauf eingehen: Der Reiseführer beschreibt, was man sich anschauen soll, wenn man schon einmal in Europa ist und sich für europäische Kunst interessiert. Ich fange an mit der Moderne, die der Reiseführer 1815, also mit dem Wiener Kongress, beginnen läßt: Es hat damals in Europa eine Romantik gegeben: Delacroix, Turner, Goya... Soweit alles klar.

Dann wird der „Sozialistischer Realismus“ besprochen, der kommt gleich nach der Romantik. Er wird beschrieben, wie ich ihn auch beschrieben habe, mit dem Hinweis: Bitte nicht anschauen! Ich glaub, da ist keine Gefahr – wo hängt denn so etwas schon aus. Nun gut, es folgt Jugendstil, Impressionismus und Post-Impressionismus. Dann kommt das 20. Jahrhundert: Expressionismus (einziger Vertreter: Munch), abstrakte Kunst (es wird betont für Wohlwollen geworben: Kandinski, Klee, Mondrian), Primitivismus (Rückkehr zur Höhlenmalerei = ursprüngliche Kunst =  abstrakte Kunst), Fauvismus (Matisse), Kubismus (Picasso und Braque), Dada (Duchamp und sein Urinal), dann ein wenig Surrealismus (Dalí und Chagall) und Pop-Art (Lichtenstein, ein typischer Vertreter der europäischen Pop-Art). Da könnte man innerlich denken: stimmt so.

Stimmt nicht! Zunächst fassen sie unter Post-Impressionismus alles zusammen, was in ihr Konzept nicht hineinpasst, um einfach das Wort Symbolismus zu vermeiden – weil, wenn man alle künstlerischen Richtungen beachtet, dann merkt man, dass diese Logik, die dahinter steckt: dass sich die Malerei zur Flachheit entwickelt hat, so nicht stimmt. In Wirklichkeit kam nach den Impressionisten, mit ihrer Auflösung der Form, der Symbolismus, der hatte wieder sehr feste Formen; dann kam der Jugendstil – dem war eher alles andere wesentlich, als die Tendenz zur Fläche oder zum Abstrakten – dann kam der Expressionismus, der wieder eine Auflösung der räumlichen Verhältnisse brachte. Doch danach kam etwas, das wirklich seit 50 Jahren unterdrückt wird: es ist die „Neue Sachlichkeit“ - sie haben vielleicht etwas davon gehört, vielleicht etwas davon mitbekommen: die Hypo-Kulturstiftung hat vor kurzem in München eine außergewöhnlich gute Ausstellung gemacht, mit kolossaler Wirkung, die Leute waren vollkommen begeistert, denn es war etwas, das man bisher in dieser Fülle und Qualität noch nicht gesehen hat. Die „Neue Sachlichkeit“ hatte so ungefähr 1919 begonnen als bewusste Gegenreaktion auf die abstrakte Malerei und ist in jeder Beziehung einfach stärker gewesen. Man darf einwenden: Die Anzahl der Künstler, die zu einer Richtung gehören, spielt keine Rolle für ihre Bedeutung, wichtig ist nur, es sind gute Künstler dabei. Aber auch wenn man sich nur die „guten“ Maler der ¯“euen Sachlichkeit“ anschaut, es war eine unglaubliche Revolution sowohl in der Anzahl als auch in der Qualität und auch in der Breitenwirkung. Sie sehen: die Theorie, dass gute Malerei mit der Zeit immer abstrakter wird und sonst nichts, die stimmt einfach nicht. Nach der „Neue Sachlichkeit“ kam der Surrealismus, ebenfalls betont gegenständlich, nach 1945 außer der „geförderten®“abstrakten Kunst noch die Pop-Art: dabei hatte Greenberg fast einen Herzinfarkt bekommen, denn er hatte vorhergesagt, es wird nie mehr gegenständlich gemalt werden. Doch plötzlich kamen Rauschenberg und Liechtenstein und Jasper Johns und Andy Warhol und malten wieder gegenständlich. Es sind danach viele kleine neue Richtungen erfunden worden: color-field-painting, hard-edge-painting,  Minimalismus, concept art, land art, body art,  eat art, usw., einfach um diese Theorie der zunehmenden Abstraktion noch einmal zu betonen. Ich denke, man merkt, wie künstlich diese Richtungen entstanden sind - es waren Bewegungen, die manchmal 3 Jahre, manchmal nur 1 1/2  Jahre gedauert haben, die kann man nicht ernst nehmen. Es hat nach 1945 in Europa auch einen „Phantastischen Realismus“ gegeben, aber, dass Sie den meiden sollen, wie der Teufel das Weihwasser, das wissen Sie ja ...

Wie ging diese Geschichte zu Ende? 1967 ist von einer amerikanischen Zeitschrift alles aufgedeckt worden und der CIA hat die Aktion offiziell abgeblasen. Es ist interessant festzustellen: danach kommt die Zeit, in der zum ersten Mal ein deutscher Name in der „Weltkunst“auftaucht: es ist Beuys. Ich weiß nicht, ob da ein Zusammenhang besteht, mit dieser Aktion, die damals abgeblasen wurde – vielleicht hat es eine zweite gegeben, aber die hat man dann so geheim gehalten, dass wir sie bis heute nicht kennen. Immerhin ist es Beuys, der diese Theorie der zunehmenden Abstraktion weiter geführt hat...

Ich möchte damit Schluss machen und ich hoffe, dass ich wenigstens halbwegs den Titel unserer Ausstellung „Unterdrückte Kunst nach 1945“ habe begründen können. Damit sie mich nicht missverstehen: ich habe nichts gegen die Geheimdienste, nichts gegen den CIA, nichts gegen den KGB – sie gehören zu unserer Welt, wie sie ist, es sind sicherlich gute Leute dort, die ihre Arbeit, im Auftrag oder nicht, gut machen. Wir sollten dem CIA dankbar sein, dass die Sowjets nicht weiter als die Werra kamen – das war schon zu weit – denn er hat sicherlich seinen Beitrag dazu geleistet. Dass er glaubte, es auf kulturellem Gebiet nicht anders tun zu können, als durch Förderung der abstrakten Kunst, mag bedauerlich sein, doch das ist jetzt Geschichte. Das kann ich akzeptieren.

Ich finde es aber unerträglich, dass man auch jetzt, lange nach 1989, da es nicht mehr nötig wäre, noch immer leugnet, das es so war. Und damit möchte ich mich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.

Danke.