H. R. Giger – oder das Grauen in Örtlikon

Der Künstler Otfried H. Culmann berichtet von seinem Besuch bei dem Alienerschaffer und Oscar-Preisträger H.R. Giger im Oktober 2001 im schweizerischen Örtlikon

„Die Anfahrt war wieder eine Katastrophe, da ich eine Ausfahrt verpasst hatte und ich mich nun durch Stadtteile quälen mußte und ständig nicht mehr wußte, wo wir waren. Vor drei Jahren hatte ich schon einmal eine solche Ochsentour, bei Schneeregen, Kälte und Dämmerung hinter mich gebracht und war mit zweistündiger Verspätung angekommen. Giger wohnt hinter einem versteckten Bahndamm, den man irgendwo in dem Häuser- und Straßengewirr durchfahren muß. Sein einstöckiges Haus besteht aus drei Reihenhäusern, die von wildwachsenden Büschen eingefaßt werden.
Vor der Eingangstür steht ein farblich abgeschossenes, leicht angerostetes Auto. Links und rechts vom Weg liegen veralgte Holzmodeln zur Herstellung von Kunststoffverkleidungen. Die Büsche werfen düstere Schatten... eine Szene wie aus einem Roman von Stephan King! In der Regel wird man von einem Mitarbeiter begrüßt, von dem man entweder rechts in das Empfangszimmer geführt wird, oder zu Giger in einem anderen Teil des Hauses.
Dieses Mal kommt Hansruedi Giger und führt uns hoch in seinen Atelier, wo gerade eine gewaltige Saurierwirbelsäulendeckenkonstruktion für seine Giger-Bar in Gruyeres aus Kunststoff gebaut wird. Im wesentlichen scheint er mit dem Einrichten seines Museums beschäftigt zu sein. Seit sein Kompressor vor einigen Jahren im Keller kaputt ging, soll er mit der Spritzpistole keine Bilder mehr gemacht habe. Eine nicht gerade überzeugende Erklärung!

In das dritte Haus, das er in den letzten Jahren dazugekauft hat, kommt man nur durch einen senkrecht stehenden Mumiensarg. Im Atelier sahen wir uns dann auch eine ganze Reihe Bilder von Kubin bis DADO, aus seiner Sammlung an. Danach gingen wir auch noch durch die anderen Zimmer des Grauens, die im wesentlichen aus einem unbeschreiblichen Chaos mit Monstern und Totenköpfen in plastischer und bildlicher Form bestehen! Die Wände im Haus sind schwarz angestrichen und haben zum großen Teil keine Fenster, sodaß er nur in Kunstlicht lebt. In einem schmalen Raum ist sein „Schlafzimmer", wobei das Bett in der Mitte steht und sich drumherum Regale befinden, die brechend voll mit Büchern, Akten und Papierkram sind, wobei er gerade noch durch die Tür zum Bett kommt, da der Papierkram bis an den Rand des Bettes vorgedrungen ist. Vor 14 Uhr ist Giger nicht aus dem Bett zu bekommen, da er oft erst zwischen 3 und 5 Uhr ins Bett geht.

Die „Küche" besteht eher aus einem Durchgang, in dem sich ein Zweiplattenkocher und ein Wasserbecken mit Teller und Gabeln befindet. Wo gegessen wird, ist nicht ganz ersichtlich, da sich nur in seinem Empfangszimmer ein Metalltisch mit Harkonnen-Sesseln befindet, die aus gewaltigen Knochen und Totenschädeln aus Aluminium bestehen und nicht gerade appetitanregend aussehen, – ganz davon abgesehen, daß in dem Haus fast alles jenseits der guten Geschmacksbarriere liegt. Daß man in jedem Zimmer über eine offene Katzenfutterdose stolpert, sei nur nebenbei erwähnt. Die Katze habe ich tatsächlich gesehen, es handelt sich also nicht um einen jungen Alien, der unter dem Bett schläft! Daß man dann noch in der Küche über 40 cm breite Eisenbahnschienen stolpert, sollte jetzt auch nicht mehr verwundern, denn da steht auch noch ein Gespensterzug auf den man sich setzen und mit dem man auf verschiedenen Wegen durch den Garten fahren kann, d.h. der Zug macht einige Runden durch den „Garten" und jagt dann durch die Küche, wo man sich bei der Durchfahrt vielleicht ein Schnitzel aus der Pfanne holen kann. Den Zug hat Giger für eine Wahnsinnssumme einer Filmgesellschaft abgekauft.

In einem Nebenraum türmten sich Grafiken auf einem Tisch und als ich mir diesen näher ansah, kam zu meinem Verblüffen anstatt ein Tisch eine Badewanne darunter hervor, deren Sinn sich mir in diesem Raum bis jetzt aber noch nicht erschlossen hat! An der Seite stehen Regale vollgestopft mit Horror- und Science-fiction Videos. Auch hier: bis unter die Decke Bilder von Giger, oder anderer Künstler. Obwohl ich jetzt schon drei Mal bei Giger war, ist in dem Chaos immer etwas neues zu entdecken, wenn auch mehr in erschreckender Richtung! Obwohl ein großer Teil der Objekte und Bilder in seinem Museum sind, merkt man in seinem Haus noch keine Reduzierung.

Im „Garten", in dem die Eisenbahnschienen über einen höllenschwarzen und stinkenden Swimmingpool und durch bluttriefende Filmkulissen, grüne Schaufensterpuppen, ausgestopfte Krokodile und andere Ungeheuerlichkeiten führen, steht der Zodiac-Brunnen. Er ist ca. 6 Meter breit, hat ein rundes Becken mit einer Mittelsäule, auf welcher der Torso einer biomechanischen Frau steht und unter der sich Wasser in das Becken ergießt. Im Wasser drehen sich zwölf „Armbein-Monatszeichen" , die durch den Wasserabfluß und ein Räderwerk bewegt werden. In den Gartenecken befinden sich improvisierte Holzverschläge, die als Werkstätten für die Gestaltung plastischer Figuren dienen. Giger verschwindet ständig durch eine Tür, in den Garten, in das Haus um die Arbeit seiner 3- 5 Mitarbeiter zu überprüfen, die am PC, an Figuren, oder sonst etwas herumwerkeln. Dazwischen unterhalten wir uns über alles mögliche, er kramt Zeichnungen und Bilder hervor, verschwindet wieder, kommt mit Katzenfutter und sucht die Katze, sucht in seinem Schlafzimmer einen Ordner, geht dann mit uns in seinen Empfangsraum dessen Wände mit großen Bildern mit Astrogöttinnen und weiteren dunklen Abartigkeiten gefüllt sind. In einer Ecke sitzt ein Biomechanoid in menschlicher Größe, mit einem langen Kopf, dessen Gesicht aus einer Filmkamera besteht. Daneben steht eine „Schwanz"-Guillotine, um die ich selbstverständlich einen großen Bogen gemacht habe. Für welche Missetäter diese bestimmt ist, habe ich vergessen zu fragen. Auf der anderen Seite, ein Tisch, mit Toten- und Schrumpfköpfe, Kondome des Grauens und Raumschiffmodellen. In einem Regal mit Totenköpfen in allen Variationen und Größen stand bei meinem letzten Besuch sein „Oscar", den Giger jetzt in einer Vitrine in seinem Museum aufgestellt hat und den er für das Alienfilmdesigne bekam. 

Giger erzählte mir, daß ihn damals ein Brief einer amerikanischen Akademie erreichte, die ihm einen Preis verleihen wollte und er den Brief auf einen Papierhaufen warf. Erst ein Freund machte ihm dann klar, daß dies nicht irgend eine Akademie ist, sondern daß die Akademie den „Oscar" verleiht. Die Harkonnen-Sessel hatte er für den Film „Dune – der Wüstenplanet" entworfen, der dann von einer anderen Produktionsgesellschaft mit Venosa realisiert wurde. Giger steckte in die Sesselproduktion 250 000.- SF. Da ein handgemachter Sessel ca. 60 000 DM kostet, ließen sie sich nicht verkaufen. Immerhin konnte er sie in Chur, New York und Tokio verwenden, wo man nach seinen Plänen eine Giger-Bar einrichtete.

Als ich vor drei Jahren das erste Mal bei ihm war, fuhr ich mit ihm ins Kunstmuseum um die Ausstellung „Eine Reise ins Ungewisse – Böcklin-de Chirico-Max Ernst" anzusehen. Er suchte die „Toteninsel" von Böcklin, da er um 1977 eine Giger-Fassung davon gemalt hatte. Der Durchgang durch die Ausstellung gestaltete sich zu einem bizarren, hektischen Rundherumlauf, wobei Giger eher die Idee des Bildes interessierte, als die Maltechnik. 

Nach dem Besuch bei Giger braucht man schon einige Tage bis sich die Eindrücke gelegt haben. Besonders in der Nacht wird es schlimm, wenn einem im Traum das Grauen am Bett hochkriecht und man mit zitternder Hand nach dem Lichschalter greift....

Otfried Culmann