Die Rheinpfalz über die „art-imaginär 09”

Die Rheinpfalz über die „art-imaginär" 2009

„DIE RHEINPFALZ“  (Kultur) vom 26. Sept. 2009

Rätsel, Mythen, Träume

Eine große Ausstellung im Mußbacher Herrenhof zeigt, was die phantastische und visionäre Kunst kann

 

Von Holger Pöschl

Zu einem Fixpunkt der phantastischen Kunst in Deutschland wollen die Verantwortlichen den Mußbacher Herrenhof ausbauen, und so kommt es, dass nach 1998 und 2007 nun bereits die dritte große Überblicksschau in der Kunsthalle des Neustadter Kulturzentrums zu sehen ist. Nicht weniger als 75 Künstler werden diesmal aufgeboten, darunter große Namen wie Salvador Dali, Roberto Matta, Ernst Fuchs, Rudolf Hausner, Fabrizio Clerici. Surrealismus, Phantastik, Manierismus, Symbolismus, Fantasy-Art, visionäre und imaginäre Kunst – es sind viele, mitunter schillernde Begriffe, die Kurator Otfried H. Culmann, selbst einer der namhaftesten Phantasten im Land, im Vorwort des Katalogs auflistet, um zu umreißen, was die von ihm konzipierte „art-imaginär"-Ausstellung bieten will. Die phantastische Kunst wird dabei im wesentlichen motivisch, aus der Perspektive des Betrachters definiert: als eine Kunst der Rätsel, der Mythen, der Träume und Alpträume, des kindlichen Staunens, die etwas Größeres, Bunteres und Geheimnisvolleres anschaulich macht, als die sichtbare Welt der rechten Winkel, die uns täglich umgibt. Aus der vagen Begrifflichkeit lässt sich bereits erkennen, dass auch die Ausstellung selbst kein einheitliches Bild vermitteln kann und will, obwohl sie in der Gesamtschau durchaus einen interessanten Überblick aktueller Positionen der phantastischen Kunst bietet – mit einigen Längsschnitten in die Vergangenheit.

Wie schwierig allerdings mitunter die Abgrenzung zu anderen, zum Teil sogar diametral entgegengesetzten Strömungen ist, zeigt das Beispiel des 2004 im biblischen Alter von 102 Jahren in Gütersloh verstorbenen Malers und Bildhauers Woldemar Winkler, der im Getreidekasten des Herrenhofs in einer Sonderausstellung vorgestellt wird. Der gebürtige Sachse studierte in den 1920er Jahren an der Kunstakademie Dresden und sah sich selbst in der Tradition deutscher Surrealisten Max Ernst oder Richard Oelze. Ob sich der von ihm selbst geprägte Begriff des Imaginativen allerdings wirklich mit der Phantastik Culmann'scher Prägung deckt, darf angezweifelt werden. Zu sehen sind von ihm etwa einige Assemblagen aus Fundstücken vom Straßenrand, die sich auch gut in eine Arte-Povera-Ausstellung einfügen ließen.

Auch der Rastatter Kunstsammler Günter Westermann, aus dessen Sammlung rund 60 Arbeiten phantastischer und surrealistischer Prägung in einem eigenen kleinen Kabinett gezeigt werden, sammelt nicht ausschließlich phantastische Kunst. AIlerdings finden sich viele namhafte Vertreter der Richtung in seiner Kollektion, die aus zwei markanten Werkgruppen besteht: von ihm selbst gebaute Objektboxen in Standardgröße, die von den Künstlern individuell gestaltet werden, und Arbeiten auf Papier im Postkartenformat. Insbesondere die Boxen entfalten dabei einen ganz eigenen Reiz, bestechen durch die Vielfalt der künstlerischen Lösungen und tragen zudem ganz wesentlich zur internationalen Anmutung der Ausstellung bei: Der chilenische Surrealist Roberto Matta findet sich hier ebenso wie sein kubanischer Kollege Agustin Cardenas oder die Schweden Esaias Thören und Erik Olson, die ebenfalls in Kontakt zum Pariser Kreis um Andre Breton standen. Auch die „Wiener Schule des phantastischen Realismus" ist mit markanten Beispielen vertreten, ebenso wichtige Vertreter der nachfolgenden Phantasten-Generation wie Max Zimmermann, Peter Ackermann oder die Pfälzer Hermann Hoormann und Werner Holz. So vorbereitet kann man sich dann auf die Reise durch den Hauptteil der Schau begeben, wo die monumentalen apokalyptischen Endzeitvisionen des Russen Victor Safonkin auf die kleinteilig-visionären Figurenbilder eines Wolfgang Ohlhäuser treffen, der zu der Heidelberger Phantasten-Gruppe gehört, oder die mythologischen Metallskulpturen des Italieners Piero Strada auf die von der Altarkunst der Gotik inspirierten phantasievollen Holzskulpturen des Bayern Bernhard Apfel – und das sind nur einige Beispiele. 

Es sei ihm vor allem darum gegangen, die Vielfalt der Richtung aufzuzeigen, sagt Culmann. Das ist ihm gelungen. Etwas störend allerdings ist der kulturkämpferische Ansatz,  der wohl nur vor dem Hintergrund der Verbitterung über jahrzehntelange Nichtbeachtung durch den Kunstbetrieb zu verstehen ist. „Was als gültige Moderne ausgegeben wird, ist eine dünne Kruste erkalteter Kuratorenkunst, die auf dem glühenden Erdkern der Phantastik, des Surrealismus und des Visionären schwimmt", ist etwa von dem Wiener Phantastik-Forscher Gerhard Habarta zu lesen, Herausgeber eines einschlägigen Künstlerlexikons, der morgen auch zur Eröffnung sprechen wird. Solche Verschwörungstheorien haben die meisten der in Mußbach gezeigten Arbeiten aber gar nicht nötig. Das drückt sich, ganz nüchtern gesprochen, auch in ihrem Versicherungswert aus: Der liegt bei 1,5 Millionen Euro, was für einen im wesentlichen auf ehrenamtlichem Engagement basierenden Kulturverein wie der Fördergemeinschaft Herrenhof sicherlich ein Wort ist.

 

INFO

Eröffnung morgen, Sonntag, um 11 Uhr. Die Schau läuft bis 25. Oktober. Öffnungszeiten: sonn- und feiertags 11-18 Uhr, mittwochs 18-20 Uhr und samstags  14-18 Uhr.                       Katalog: 18 Euro

Email-Adresse Büro Herrenhof : info@herrenhof-mussbach.de

Fördergemeinschaft Herrenhof Mußbach
D-67435 Neustadt an der Weinstraße  - Mußbach
An der Eselshaut 18