Michael Ende und Labyrinthe

LABYRINTHE – Gesellschaft für phantastische und visionäre Künste erinnert anläßlich der Ausstellung „art-imaginär 09” im HERRENHOF Neustadt-Mußbach an Michael Ende, der in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden wäre und der einer der Initiatoren der Phantastenbewegung war. Die Ausstellung ist vom 27. Sept. bis zum 25. Okt 2009 zu sehen.

Sein Vater war der Maler Edgar Ende und Michael Ende hatte in jungen Jahren erlebt, mit welchen Schwierigkeiten dieser mit seiner phantastischen Malerei in Deutschland zu kämpfen hatte. Dabei malte Edgar Ende schon 1930 phantastische Bilder ohne vorher Bilder surrealistischer Maler aus dem Umfeld von André Breton gesehen zu haben. In einem Gespräch mit Jörg Krichbaum berichtet Michael Ende wie sein Vater immer wieder auf der Suche war nach Gleichgesinnten, Mitstreiter, einer Gruppe von Phantasten, die zusammen Ausstellungen organisieren würden. Was seinem Vater nicht gelang, wollte Michael Ende realisieren, was leider durch seinen viel zu frühen Tod 1995 verhindert wurde. LABYRINTHE – Gesellschaft für phantastische und visionäre Künste versucht auch im Sinne von Michael Ende Phantastische Künstler zusammen zu bringen und auszustellen.

Otfried H. Culmann

 

Aus dem Gespräch zwischen Ende und Kirchbaum

Michael Ende:. Bei meinem Vater kann man regelrecht sagen, dass für ihn immer die falsche Zeit war. Gerade, wenn er anfing, Erfolg zu haben, geschah etwas, was diesen Erfolg zunichte machte. In den 30er Jahren, als er anfing, Erfolg vor allem im Ausland zu haben, kamen die Nazis und haben das unterbunden. Als der Krieg dann vorbei war und er nun dachte, endlich ist die Zeit da, jetzt kann ich malen und ausstellen, wie ich will, war die offizielle Kunstszene nicht mehr am Surrealismus in seiner Gesamtheit interessiert: Plötzlich gab's nur noch Abstrakt oder Monochrom, mit allen Zwischenstufen. Und Ende galt als veraltet, weil er an seiner Art zu malen festhielt. Er hat seiner Sache die Treu gehalten. Und als dann die Zeit der Wiener Schule kam, so in den frühen 60er Jahren, also die Zeit, in der man auch seine Werke hätte rezipieren können, da starb er, gerade 64 Jahre alt.

Kirchbaum:  Gab es zu dieser Zeit schon Mitstreiter, andere Künstler, die seine Auffassung teilten?

Ende: Das hätte ihn sicher gefreut, wenn es die gegeben hätte. Es ist ihm aber nie gelungen. Nach dem Krieg war er ja mit Mac Zimmermann in der Neuen Gruppe zusammen. Trotzdem, gerade mit Mac Zimmermann konnte er sich nicht besonders gut verstehen. Der Ansatz von Zimmermann war ein grundsätzlich anderer, der kam aus der entgegengesetzten Richtung.

Krichbaum:  Aber es gab ja noch andere Gruppen, bei denen er mitgemacht hat. Beispielsweise die Gruppe Fantasmagie, die einige vielbeachtete Ausstellungen gemacht hat, an der auch Künstler wie Radziwill, Rauh und Bucaille beteiligt waren.

Ende: Ich sage ja, er hat es immer versucht. Auch mit Fabius von Gugel zusammen. Wo er dann, vielleicht unnötigerweise, zu viel Distanz zu wahren versuchte. Aber, dass man sich in einer Gruppe zusammenfindet, bei der alle in dieselbe Himmelsrichtung schauen, das war ihm schon ein Anliegen. Aber vielleicht hat er sich für seinen Teil zuviel davon versprochen...

Krichbaum: Es gab ja auch, zugespitzt formuliert, reine Zweckbündnisse, die er einging, um an bestimmten Ausstellungen teilzunehmen. Und da fällt auch dem wenig eingeweihten Betrachter sofort wieder auf, in welcher ausgezeichneten Nachbarschaft er sich da bewegte. Ich erinnere nur an die von Edgar Jené für das Saarland-Museum organisierte Ausstellung, wo neben den Bildern Edgar Endes die Werke von Labisse, Man Ray, Matta, Max Ernst und Rene Magritte hingen. Und ich glaube, dass auch Dali beteiligt war. Irgendwie geht das alles für mich nur schwer zusammen. Man kann diese Liste beliebig verlängern. Es gibt nämlich auch Ausstellungen, wo Nagel, Wunderlich und Schulze beteiligt waren und natürlich Richard Oelze, wo es von Ihrem Vater ein Bild gibt,  ich glaube es heißt „Die Letzten", das fast schon eine Art Hommage ist. Und dann natürlich das Stichwort Schlichter. Sehr delikat aus heutiger Sicht. Rudolf Schlichter. Im meistverkauften Kunstlexikon, dem Kindlers Malerei Lexikon, ist Ihr Vater mit 2 1/2  Seiten und Abbildungen vertreten, während sein freundschaftlicher Bekannter Rudolf Schlichter völlig fehlt.  (...)

Ende: Das ist mir auch unbegreiflich. Ich würde das noch verstehen, wenn mein Vater ein Eklektiker gewesen wäre. Wenn er also einer von denen gewesen wäre, von dem man gesagt hätte, na ja, mein Gott, er malt wie der und der, bloß ein bisschen schlechter. Aber er zählte zu denen, die von vornherein eine sehr originäre Welt hingestellt haben, die sich so ohne weiteres mit irgendeiner anderen nicht vergleichen lässt. Wie gesagt, diese Mißachtung verstehe ich bis heute nicht.

(aus „Die Archäologie der Dunkelheit")

 

Unterm schwarzen Himmel zum Horizont

„Unter einem schwarzen Himmel“ ist der Titel einer Kurzgeschichte von Michael Ende1. Die kurze Episode lässt verstehen, warum Kunst, und besonders phantastische Kunst für Michael Ende so wichtig waren. Wer die Bilder seines Vaters, des visionären Malers Edgar Ende kennt, sieht die Szenerie der Geschichte als Bild vor sich: Den Jahrmarkt mit seinen verlassenen Buden im Halbdunkel. Und irgendwo im Hintergrund, unter einem schwarzen Himmel, auf dem Weg zu einem helleren Horizont, zwei Gestalten: Das Kind und den Pagat – Gaukler und Magier in einem. Gemeinsam suchen sie eine bewohnbare Welt.

In diese Chiffre hat Michael Ende gelegt, was er über Kunst dachte. Von Kindheit an stellte die künstlerische Welt für ihn eine stärkere Wirklichkeit dar als die äußere Realität. Die Figur des „Pagat", die erste Karte im Tarot-Spiel (die wir als „Joker“ kennen), wurde ihm schon früh zur Schlüsselfigur dieses künstlerischen Konzepts, das ihn sein Leben begleiten sollte2. Der Aspekt des „Gauklers" steht für das spielerische Prinzip der Kunst (3), das Absichtslose. Der „Magier“ ist Inbegriff der Kraft, aus dem Nichts Welten zu schaffen.

Auch die phantastische Kunst schöpft aus geheimnisvollen Innenwelten, auch sie spürt hinab in das unergründliche Höhlensystem der Vorstellung. Auch sie verzaubert, wo alles  erklärbar geworden scheint. Auch sie sucht nach einer Wirklichkeit jenseits der äußeren Realität – einer Wirklichkeit voller  Schönheit, selbst im Hässlichen, im Schrecklichen, Bizarren.

Sich dem Minotaurus im Labyrinth der Welterlebnisse stellen – durch das Labyrinth menschlicher Vorstellungskraft gehen, wo Irrwege plötzlich nötig und scheinbare Ziele Sackgassen werden, wo die Gesetze der realen Welt nicht mehr gelten und der Raum zur Täuschung wird: Die phantastische Kunst lässt ihre Betrachter ein Bild förmlich lesen, statt es einfach zu konsumieren.

Michael Ende war fest überzeugt, dass man nicht nach Sinn und Funktion eines Kunstwerks fragen kann – denn Kunst trägt ihren Sinn in sich. Aber er glaubte zugleich fest, dass Kunst die Welt verändern könne. Ein positives Wunschbild könne viel mehr bewirken als der erhobene Zeigefinger der politisch korrekten Literatur. Das Nichts, das sein Phantásien bedroht, ist das Nützlichkeitsdenken, der „Funktionalisierungswahn“ unserer Zeit.

So ist es nicht verwunderlich, dass Michael Ende bis zu seinem viel zu frühen Tod am 28. August 1995, einer der Initiatoren der Phantastenbewegung war, die sich heute „Labyrinthe – Gesellschaft für Phantastische und visionäre Künste“ nennt. Es wäre schön gewesen, wenn er erlebt hätte, was inzwischen daraus geworden ist, wenn er ein ebenso hohes Alter erreicht hätte wie sein Wappentier, die Schildkröte. Am 12. November 2009 würde Michael Ende 80 Jahre alt.

Roman Hocke

 

Quellennachweis:

1: Aus: Der Spiegel im Spiegel. Ein Labyrinth, Stuttgart 1984, S. 228-230.

2: Siehe auch den Beitrag von Dr. Uwe Neumahr „Pagat oder Der Künstler in der Jahrmarktsbude – Michael Endes Poetik“, abgedruckt in: Das große Michael Ende Lesebuch, München 2004, S. 332-337.

3: Vgl. hierzu Friedrich Schiller, "11. bis 15. Brief", in: Die ästhetische Erziehung des Menschen, Band II, München 1966, S. 468-482