Das Universum wird größer von Gerhard Habarta

„Das Universum wird größer“ – Rede zur Eröffnung der art imaginär 09
von Gerhard Habarta, Österreich
Autor des „Lexikon der phantastischen Künstler"

 

 

Meine Damen und Herrn,

Culmann schreibt im Prospekt zur diesjährigen art imaginär:
„Der Surrealismus verhält sich wie die brodelnde Magma in einem immer wieder ruhenden Vulkan, der dann gelegentlich mit weniger oder großem Getöse ausbricht."

Sie sitzen auf einem Vulkan.

Unter der starren Oberfläche der aktuellen Kunst, der zeigenössischen Kunst, der gültigen Kunst der Avantgarde, brodelt das Magma der Phantastischen Kunst. Was als gültige Moderne ausgegeben wird, ist eine dünne Kruste erkalteter Kuratorenkunst, die auf dem glühenden Erdkern der Phantastik, des Surrealismus und des Visionären schwimmt.

Sie sitzen hier in Mussbach auf unsicherem Boden, auf dem sich ein Datrem gebildet hat, eine Vulkanöffnung, aus der das Magma aufsteigt. Manche der bekannten Vulkanschlote reichen bis in die Tiefe des Oberen Erdmantel hinab, woher die Diamanten stammen. Dort unten existiert die Phantastische Kunst und stößt gelegentlich mit Macht und eruptiver Kraft an die Oberfläche, um die Kunstwelt zu erschrecken und zu verstören.

Was tut der Mensch wenn er erschrickt? Er negiert das Schreckliche: Was es nicht gibt, kann ihn nicht erschrecken und wenn es noch so faszinierend schön ist.

Die Phantastik ist nicht selbst in den Untergrund gegangen, sie wurde dorthin gedrängt und dort verschüttet. Zwar erzählt man Legenden und Geschichten vom Schrecken des Phantastischen, von längst vergangenen Erscheinungsformen wie dem Arcimboldo oder dem Dalí, so wie durch die Legenden Saurier als Drachen geistern, die es auch nicht mehr gibt. Das Universum der Kunst ist „beruhigend abstrakt” wie es Günter Grass nennt, ist colourfield, ist lyrisch ästhetisch gesichtslos wabernd, es ist geschichtenlos.

Die phantastische Kunst wird einerseits als ein unzeitgemäßes Produkt von Kitschiers die nicht ins hightech Designer Ambiente passen abqualifiziert. Ein Argument gegen die Fantasten aller Spielarten ist, dass sie den Fortschritt nicht zur Kenntnis nehmen. Aber es ist in der Kunst wie mit der Sexualität: Da gibt es keinen Fortschritt. Da gibt es nix was besser wird.

Oder Surrealismus und Feinmalerei wird als Nazikunst, geht auch als stalinistischer Realismus, gemobbt.

Rudolf Hausner lernte Victor Brauner in Paris kennen, als er 1962 die Surrealismus Ausstellung in Wien vor­bereitete. Als er Brauner fragte, was er in Paris vorgefunden habe, als er aus der Emigration zurückgekommen war, sagte er: „Die Marshallplankunst ist in Europa ausgebrochen.” Die gegen­ständliche Kunst war durch die Nazikunst und ihr Pendant im sowjetischen Einflussbereich desavouiert worden. So wurde das Informelle als Bekenntnis zum freien Westen, als Staatskunst herausgestrichen. Die abstrakte Kunst ist gleichzeitig mit den CARE-Paketen und ERP-Krediten gekommen. Sie war nur in den Marshallplan-Ländern zu lokalisieren.

Das Abstrakte wurde zur Rekon­valeszenz-Droge für die europäische Nachkriegsgesellschaft.

Die massiven Vorstöße abstrakter Kunst finanziert aus den Mitteln der Rockefeller, organisiert durch CIA und Marshallplan in Handlungsgemeinschaft mit den US Infor­mation Agencies bewirkte eine Frontstellung zum Realismus. So einfach war die Formel: Abstrakt ist Freiheit — Realistisch ist Diktatur.

So war es natürlich nicht. Die Surrealisten waren keine Nazimaler und keine Künstler der kommunistischen Doktrin. Im Gegenteil, sie waren Opfer oder im Widerstand, sie waren Revoluzzer, vielleicht keine Revolutionäre. Aber sie waren nie anangepasst.

Ich durfte in den letzten Jahren ein Lexikon der phantastischen Künstler erarbeiten mit mehr als 1.100 Biographien von Künstlern, die drin sind und vielen mehr, die nicht, noch nicht drin sind. Und es ist erschreckend wie viele Surrealisten und Phantasten durch die Diktaturen umgekommen sind oder im Kampf gegen sie, verboten wurden, Arbeitsverbot hatten, eingesperrt und letztlich getötet wurden.

Phantastische Künstler waren nie und sind nicht angepasst, sind keine Opportunisten. Nicht einmal so Leute wie Dalí sind es gewesen, dem man es immer wieder vorwirft, dass er sich arrangiert hat. Hat er nicht. Vielleicht auch nur, weil er es nicht gerne hatte, dass die Nazis seinen Freund García Lorca erschlagen haben. Und sie sind keine Societymaler wegen des Geldes, wie man ihnen immer vorwirft. Um bei Dalí zu bleiben: Er hatte eigentlich lebenslang nur zwei drei Sammler und kaum Museen. Ernst Fuchs lebte immer über seine Verhältnisse, und verkaufte erst, als er längst mit Anderem, Neuem beschäftigt war.

Kunst ist kein Geschäft, wie man den Phantasten, den Feinmalern und Phantasten immer vorwirft. Die Tochter von André Breton wollte den Nachlass des großen Propheten und Apologeten des Surrealismus in ein Museum verwandeln. Ging nicht, es war kein Geld dafür da. Dann wurde der Nachlass für 46 Millionen Euro versteigert. Jetzt könnte sich die Dame ein Museum mit allem drum und dran leisten. Aber es gibt keinen Nachlass mehr. Das ist surreal.

Kunsthändler verkaufen nicht Kunst. Und ich war lange genug einer. Kunst ist für Geld nicht übertragbar.

Ich habe die Arbeit an dem Lexikon angefangen, weil ich glaubte, alles über die phantastische Kunst zu wissen, nur weil ich mich 50 Jahre lang damit beschäftigt habe. Ich wusste und weiß es nicht.

Wenn Sie Lücken darin entdecken, dann sind es Wissenslücken. Es ist es keine arrogante Ablehnung von minderen Künstlerpersönlichkeiten, sondern schlicht und einfach die Unkenntnis darüber, was sich so alles tut unter der Kruste erkalteter Kuratorenkunst die ja unsere Museumslandschaft, unser Feuilleton, unser Kunstgeschnatter bestimmt.

Es ist nicht die Eruption von surrealem Magma überall auf der Welt. Es ist das Universum der phantastischen Kunst, das viel größer ist, als unsere Sternenkarten zeigen. Täglich entdeckt man neue, phantastische, surreale Welten. Das Universum ist unendlich, aber es wird immer größer.

Die art imaginär und mein Lexikon, wir arbeiten daran, es sichtbar zu machen.

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Gerhard Habarta  (wir gratulieren zum 70. Geburtstag)

Biografie:

geboren 1939 in Wien, lebt in Niederösterreich

seit 1958 als Galerieleiter, Ausstellungsmacher, Autor und Verleger tätig.

Ab 1955 in der Jugend- und Bildungsarbeit. Begründung der „Arbeitsgemeinschaft junger Sammler”.

1966 bis 1971 Programmleiter des Kunstbuchprogramms des Verlages der Stadt Wien mit Buchpublikationen auch von Phantasten, darunter das erste Werksverzeichnis der Druckgrafik von Ernst Fuchs und Werkmonographien von A.P.Gütersloh, Fritz Janschka und Helmut Kies.

Ab 1970 bis 1992 Zeitungsmacher, Redakteur und Gestalter von Zeitschriften.

Mitautor, Autor und/oder Herausgeber von Buchpublikationen zur Alltagskultur (Science-Fiction, Comic, Wild-West, Mode), zur Zeitgeschichte (Arbeiterkultur, Republikgeschichte, Wohnen) und Kunst.

Ab 1971 Herausgeber internationaler Grafikeditionen (u.a. euroart) und von Skulpturen und Multiples. Verlegerische Zusammenarbeit mit zahlreichen Künstlern des Surrealismus und der Phantastischen Kunst, darunter Salvador Dalí (Grafik und Plastiken), Leonor Fini, Andre Masson, Felix Labisse, Niki de Saint Phalle, Verlon, Rudolf Hausner, Arik Brauer, Ernst Fuchs, Anton Lehmden, Helmut Kies und mehrere Grafikzyklen von  Wolfgang Hutter.

Ab 1978 Kurator und Veranstalter von Groß- und Museumsausstellungen zur Alltagskultur und mit Werken der klassischen Moderne in Österreich, Deutschland, Frankreich, Belgien und der Schweiz, darunter bedeutende Werkkomplexe von  Pablo Picasso, Henry Moore, Marino Marini, Alfred Hrdlicka u.a.

Ausstellung „Die Wiener Schule des Phantastischen Realismus” anlässlich der Europalia, Belgien.

Großausstellungen in Österreich, Deutschland, Ungarn, Frankreich und der Schweiz mit mehr als 200 Bildern und Zeichnungen und mehr als 1.000 Arbeiten des Graphischen Werks von Salvador Dalí.

Zu allen Ausstellungen umfangreiche Katalogbücher.

1999 Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst

 

Bücher zu Kunst und Kultur:

„Kunst in Wien  nach ’45 – Frühere Verhältnisse“ (Verlag Der Apfel) 1996.

„Handbuch Picasso – 375 Stichworte zu Biografie und Werk" Collectors Digest, 2000.

„Ernst Fuchs – Das Einhorn zwischen den Brüsten der Sphinx“ Biographie, Verlag Styria, 2001.

„Comic Welten“ Katalogbuch, 1992.

„Catalogue of the guaranteed genuine & original Engravings of Salvador Dalí”, Museu Perrot-Moore, 1988.

„Les 678 Tres riches Signatures de Salvador Dalí”, Collectors Club 1984.

„Salvador Dalí ~ Maler, Bildhauer, Schriftsteller“ Verlag ExtraMax, Kranenburg, 2003.

„Es war die Frau – Die Erfindung der Technologie durch die Frau" edition: kult(ur)geschichte, 2003.